Verlässliche Partnerin für Jugendliche in Not

Intensivpädagogik ist für Franziska Kaiser herausfordernd und spannend zugleich

 

Gibt es so etwas wie einen „typischen Arbeitstag“? Franziska Kaiser (im Bild links) lacht. „Ich weiß zwar, was ich für Termine habe. Aber natürlich kann sich auch jederzeit spontan etwas ergeben.“ Wie immer, wenn man mit Menschen arbeitet, können jeden Tag Überraschungen passieren. Und wenn es Jugendliche sind, die an einer „intensivpädagogischen Maßnahme“ teilnehmen, dann ist sowieso jede Menge Flexibilität, Kreativität und Spontaneität gefragt.

Franziska Kaisers Arbeitsplatz befindet sich in einer Villa in der Emser Straße. Im Erdgeschoss arbeitet sie mit ihren vier Kollegen und Kolleginnen in Diensten des Evangelischen Vereins für Innere Mission (EVIM) in der Jugendhilfemaßnahme „JamB“. Das bedeutet: „Jugendliche in ambulanter mobiler Betreuung“. Die junge Sozialpädagogin arbeitet seit  2018 hier. „Nach dem Abi hatte ich erstmal eine kaufmännische Ausbildung gemacht, obwohl ich schon damals einen sozialen Beruf ergreifen wollte. Doch ich dachte mir, mit 19 habe ich dafür einfach noch nicht genügend Lebenserfahrung“, berichtet sie. Nach einigen Berufsjahren studierte sie dann Soziale Arbeit, absolvierte schon während des Studiums Praktika in der Jugendhilfe, beispielsweise in der Villa Lilly oder im Antoniusheim bei der Flüchtlingsbetreuung. Dann fand sie den herausfordernden, aber sehr spannenden Job bei EVIM, in einem Angebot, das in Wiesbaden einzigartig ist. Hier geht es darum, Jugendlichen im Alter von 12 bis 18 Jahren den Verbleib in der Familie zu ermöglichen – obwohl es verschiedene Faktoren gibt, die umfassende Hilfe erforderlich machen. Das kann ein delinquentes Verhalten sein, Suchtproblematik, hartnäckiges Schuleschwänzen, aber auch Überforderung der Eltern bei der Erziehung.

Soziales Umfeld integrieren

Die Betreuung ist sehr intensiv, zwischen 20 und 30 Stunden pro Woche arbeiten die Betreuerinnen pro Fall.  Das kann, berichtet Franziska Kaiser, in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen stattfinden: Gespräche im Büro sind ebenso möglich wie gemeinsame Unternehmungen. Oder – und das ist sehr häufig der Fall: Gespräche mit allen anderen wichtigen Bezugspersonen des oder der Jugendlichen: Eltern, Lehrer, Ärzte zum Beispiel. Franziska Kaiser lernt das Umfeld sehr genau kennen, ist auch auf dessen Kooperation angewiesen. Und auf die des Amtes für Soziale Arbeit, das die Jugendlichen in diese Maßnahme vermittelt. „JamB“ ist intensiver als die – meist bis dahin ausgereizten – anderen Maßnahmen der Ambulanten Jugendhilfe, aber steht noch vor der Herausnahme aus der Familie. Das ist die letzte Möglichkeit, die auch nur in ganz bestimmten Fällen gewählt wird. Ziel von „JamB“ ist hingegen, dass die Jugendlichen möglichst in ihrer Familie, ihrer Schule oder ihrer Ausbildung verbleiben und sich in wieder in ihr angestammtes soziales Umfeld integrieren. „Die Eltern müssen zur Mitarbeit bereit sein“, nennt Franziska Kaiser als wichtigste Voraussetzung. Und: Strafe sei hier nicht das Thema. „Jedes Verhalten hat einen Grund. Daran arbeiten wir.“

Auf Augenhöhe agieren

Die sportliche 31-Jährige kann hier ihre Fähigkeiten ganz individuell einbringen: Sie kann, wenn es nötig ist, zeigen, wie man auf einen Boxsack einschlägt, ohne sich selbst wehzutun, sie geht klettern oder zum Kampfsporttraining mit ihren Jugendlichen und kann ihnen so wirkungsvoll zeigen, wie man Aggressionen umlenken kann. „Mein Kollege hat es dafür eher mit Computerspielen, der zockt dann halt mit den Kids“, berichtet sie. Wichtig sei es einfach, die Jugendlichen ernst zu nehmen, wenn nötig, deeskalierend zu wirken, aber auch auf Augenhöhe zu agieren. Das benötigt eine gewisse natürliche Autorität, aber auch Vertrauenswürdigkeit. Und man müsse auch durchaus hart im Nehmen sein, berichtet Franziska Kaiser. „Ich habe auch schon mal zu hören gekriegt, ich gieß Benzin auf dich und zünd dich an.“ Da dürfe man nicht zimperlich sein, sondern müsse versuchen, auf die Situation angemessen zu reagieren. Angst habe sie nicht gehabt, versichert die zierliche Franziska Kaiser glaubhaft. Sie liebt ihren Job, „weil man vielfältige Möglichkeiten hat, zu unterstützen“. Und auch die regelmäßige 24-Stunden-Rufbereitschaft – „das muss die eigene Familie schon mittragen“ – nimmt sie in Kauf, um sich als verlässliche Partnerin der Jugendlichen in Not zu erweisen. Im Übrigen kämen diese nicht nur aus prekären Familienverhältnissen, bekräftigt die Sozialarbeiterin. „Probleme dieser Art kommen in allen Schichten vor.“

(Anja Baumgart-Pietsch)