Digitale Quartiersplattform schafft Sicherheit und wirkt gegen Einsamkeit

In seiner eigenen Jugend habe er keinen Videocall gebraucht, um mit seiner Oma sprechen zu können, sagte Bürgermeister Oliver Franz. „Ich bin ihr täglich begegnet.“ Doch die Zeiten haben sich geändert, viele Familien wohnen weit verstreut. Die Technik macht es aber möglich, dass man sich wenigstens virtuell sehen und sprechen kann.

Nur muss man das zuverlässig installieren und verständlich erklären. Einen großen Schritt in Richtung digitalen Alltag haben jetzt zwei Wiesbadener Quartiere getan: Der Bereich Eigenheim -Komponistenviertel und die östlichen Vororte mit der Postleitzahl 65207. Eine neue digitale Quartiersplattform macht’s möglich. Schon seit mehreren Jahren arbeiten unterschiedliche Partnerorganisationen am Aufbau des Projekts.

Startschuss im Dezember

Am 14. Dezember gaben Oliver Franz und Nicole Grimm von der EGW Gesellschaft für ein gesundes Wiesbaden den offiziellen Startschuss für die Quartiersplattformen in den beiden Gebieten. In der Eintrachtstraße im Eigenheimviertel gibt es nun einen Raum, direkt neben dem Quartiers-Café „Son(n)derbar“, in dem an zwei Bildschirmen ausprobiert werden kann, was diese digitale Plattform zu bieten hat. Für die beiden Quartiersbewohnerinnen Cato-Irmela Dietz (77) und Johanna Broos (83) schon gar nichts Neues mehr: „Ich habe ja schon einige Zeit lang ein Smartphone, damit erledige  ich sehr viel“, sagt Broos. Und auch Dietz berichtet von diversen Online-Erfahrungen, die sie in den letzten Monaten gemacht hat und die für sie ebenso selbstverständlich geworden sind. Für die beiden Seniorinnen stellt die Technik einen großen Fortschritt und eine wichtige Hilfe dar. Und sie ist sehr vielseitig nutzbar, wie schon auf den ersten Blick klar wird: Auf der Startseite des Portals öffnen sich verschiedene Symbole, die man ganz einfach anklicken kann.

Sensortechnik passt auf

Ohne viel installieren zu müssen, lediglich passwortgeschützt, kann man die unterschiedlichsten Dinge nutzen. So gibt es beispielsweise unter dem Stichwort „Kommunikation“ allerlei regelmäßig stattfindende Zoom-Räume mit Spielen oder runden Tischen zu bestimmten Themen. Dazu muss man aber weder Zoom installieren noch Codes eingeben: So einfach wie möglich haben es die Programmierer den Nutzerinnen und Nutzern gemacht. Immer aktuelle Quartiersinfos und perspektivisch auch noch weitere Verlinkungen zu Vereinen, Kirchen und anderen Akteuren in der Nähe vernetzen auch jene Menschen, die nicht mehr so mobil sind. Dazu ist ESWE mit dem Smart-Home-Programm „Familienassist“ mit im Boot: Ein ausgeklügeltes technisches Assistenzsystem mit verschiedenen Sensoren macht es möglich, dass bei Notfällen ein Pflegedienst – im Eigenheimviertel die Firma Thomas Rehbein, die dort eine eigene Dependance hat – oder auch Angehörige informiert werden, die bei Bedarf zu Hilfe kommen können.

Mehr als ein Hausnotruf

Das ist weit mehr als der übliche „Hausnotruf“, erklärt ESWE-Vorstand Ralf Schodlok: „Zum Beispiel kann ein Gerät erkennen, ob morgens wie üblich zu einer bestimmten Uhrzeit die Kaffeemaschine eingeschaltet wird. Ist das nicht der Fall, löst es einen Alarm aus, weil möglicherweise ein Notfall vorliegt.“ Aber auch in anderen Räumen der Wohnung lässt sich so etwas installieren, beispielsweise ein Sturz-Sensor, der erkennt, wenn jemand hingefallen ist oder ein Notknopf in der Dusche. In dem kleinen Büro in der Eintrachtstraße 28 ist individuelle Beratung möglich und alles kann man direkt ausprobieren – die Sensortechnik wie auch die Quartiersplattform, die an zwei Bildschirmen erklärt werden kann.

Sicherheit und Teilhabe

„Digitalisierung bedeutet Sicherheit und Teilhabe“, sagte die Ärztin Dr. Susanne Springborn, die das Projekt in den östlichen Vororten koordiniert. Dort helfen Quartiersmanagerinnen, die zu den Senioren ins Haus kommen, beim Online-Einstieg. All das, sagte Oliver Franz, helfe auch dabei, strukturelle Probleme zu lösen – den Mangel an Fachkräften etwas zu kompensieren wie auch die Möglichkeit zu schaffen, in den eigenen vier Wänden sicher und ohne zu vereinsamen alt werden zu können. Die Partner EVIM, ESWE, EGW, Curandum, Pflegedienst Rehbein, die Quartiersentwickler humaQ, Berufswege für Frauen, die die Digitalassistentinnen ausbildeten, und die Stadt sind nun froh, mit der individuell auf die Quartiere angepassten Plattform, die von der EGW eingerichtet wurde, das richtige Medium gefunden zu haben. Die getesteten „Standardversionen“ erwiesen sich allesamt als ungeeignet. Städtische Finanzierung sorgt dafür, dass die Nutzung der Plattform zunächst kostenfrei bleibt. Mit Leben gefüllt werden muss sie nun nach und nach von den Akteuren vor Ort. Man wolle beobachten, wie das Projekt sich weiterentwickelt und ob es weitere Wünsche gibt, sagte Bürgermeister Franz. „Wir bleiben auf jeden Fall dran.“ Dass auch andere Wiesbadener Viertel eine solche Plattform erhalten, ist eine realistische Perspektive.
(von Anja Baumgart-Pietsch)

Foto (EVIM): Bürgermeister Oliver Franz (2.v.l.) und die Projektpartner gaben den Startschuss für die eigens entwickelte digitale Quartiersplattform.