Ein „Kontaktengel“ zieht weiter

Joachim Neethen war für die Menschen im EVIM Wohnhaus Schulstraße einfach ein Glücksfall. Am Mittwoch wurde der 39jähre nach Abschluss seines Vikariats besonders herzlich dort verabschiedet: in einer Tischgemeinschaft bei Kaffee, Kakao und Kuchen, bei der es auch um Jesus, Peter Maffay und die Besonderheit von Kontaktengeln ging.

Wenn aus Trauer etwas Gutes entstehen kann, dann ist dafür der Gesprächskreis mit Joachim Neethen im „Gallischen Dorf“, wie Nils Bayer, stellvertretender Einrichtungsleiter, schmunzelnd den EVIM Standort bezeichnet, das beste Beispiel. Vor einem Jahr verstarb Werner Mitternacht, der viele Jahre in der Einrichtung für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung gelebt hatte. Er wurde von Vikar Neethen beerdigt, der zu diesem Zeitpunkt seit einem Jahr an der evangelischen Kirchengemeinde Hattersheim seine praktische Ausbildung absolvierte. Nach der Beisetzung kam er mit Bewohnern und Mitarbeitern ins Gespräch, das sich ihm tief eingeprägt hat. „Ich wurde hier mit großer Herzlichkeit und Offenheit empfangen“, erinnert er sich. Daran Anteil haben auch die beiden EVIM Teamkollegen Nils Bayer und Marie-Luise Hanek. Die Ruheständlerin im „Unruhestand“ – sie arbeitet als Minijobberin und ehrenamtlich im Wohnhaus weiter – ist aktives Gemeindemitglied und an Glaubensgesprächen sehr interessiert. Bei Vikar Neethen traf das auf offene Ohren und ein offenes Herz, denn Kirche bedeutet für ihn, auf die Menschen zuzugehen. Menschen mit Beeinträchtigungen sind für ihn ein wichtiger Teil der Gemeinde.

Gespräche über Safarikpark und Jesus

Seitdem trifft sich eine kleine Gruppe von Bewohnern, die diesen Kontakt wünschen, mit dem sympathischen jungen Mann, der feinfühlig und genau ihre Bedürfnisse erspüren, ihnen zuhören und sich wertschätzend mit ihnen unterhalten kann. Wie fröhlich dort die großen und kleinen Fragen des Lebens besprochen werden ist ein Gottesdienst am Menschen der besonders schönen Art! Zwischen Themen wie die ersehnten Reisen der Bewohner zu Musicals, in den Safaripark oder in ferne Länder, Vorlieben für Rock, Pop und Schlagersänger, darunter Peter Maffay, geht es wie selbstverständlich auch um Glaubensfragen. Zum Beispiel die Taufe: Fast alle sind getauft aus der Runde, einer sei ‚nur konfirmiert‘. Doch dann wird klar, dass er auch getauft sein muss. Leon Schildwächter, der junge Mann im Teenager-Modus, erweist sich als ausgesprochen bibelfest: „Der Judas hat Jesus verraten. Am Karfreitag wurde Jesus ans Kreuz geballert!“ Stolz berichtet er, dass ihm seine Mama immer aus der Kinderbibel vorgelesen habe. Lesen liegt dem 20jährigen allerdings nicht so ganz. „Warum gibt’s eigentlich keine Hörspiele für die Bibel?“, protestiert er sofort. Joachim Neethen konnte ihm versichern, dass es die bereits gibt. Überhaupt ist der Vikar von Einfacher Sprache überzeugt. Sie habe „eine ganz eigene Tiefe“. Daher möchte er sie später erlernen.

Gleichklang in unterschiedlichen Berufen

Dass Joachim Neethen einmal Pfarrer werden würde, wurde im erst später im Laufe seines jungen Lebens klar. Zunächst arbeitete der gebürtige Hamburger als ausgebildeter Physiotherapeut. In diesem Beruf hatte er von jeher mit Sorgen und Freude im Leben der Patienten zu tun. Schon immer war es ihm wichtig, den Menschen ganzheitlich und in seiner Einheit von Körper, Geist und Seele zu betrachten. Nachdem er zum evangelischen Glauben konvertierte, reifte in ihm der Entschluss, Theologie zu studieren. Die berufliche Neuorientierung sei für ihn keine Zäsur im Leben gewesen. „Physiotherapie und Seelsorge passen sehr gut zusammen!“ Engen Kontakt zu Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen habe er zuvor noch nicht gehabt. Umso mehr sei er froh, dass er hier diese Erfahrung machen durfte: zum Beispiel in den Gesprächen, bei gemeinsamen Besuchen an den Ruheorten der verstorbenen Bewohnerinnen und Bewohner und bei einem Seelsorgeprojekt im Wohnhaus. Eine große Unterstützung war dabei Marie-Luise Hanek, die sich auch sprachlich auf jeden Einzelnen einlassen konnte und ihm dadurch ein große Hilfe war.

In Verbindung bleiben

Auf fast alle Themen konnte Vikar Neethen, oder „unser Pfarrer Neethen“, wie er im Wohnhaus genannt wird, antworten. Nur auf die große Frage von Leon Schildwächter, die Menschen von jeher umtreibt, weiß auch er keine einfache Antwort: „Wer ist Gott?“ Aber da kommt urplötzlich die Partnerschaftsvermittlung für Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen, die Schatzkiste, ins Gespräch und die Rede ist von den Kontaktengeln, die die Suchenden bei den Partys begleiten. Bei diesem Signalwort leuchten seine Augen und er sagt: „Gott wirkt über die Menschen in der Welt – wie Kontaktengel.“ Und meint schmunzelnd: „Das wäre was für mich!“

Den Kontakt zum Wohnhaus Schulstraße und zum Schlockerhof möchte Joachim Neethen aufrechterhalten. Das ist auch der Wunsch der Menschen in dieser Runde, die seinen Weggang vielfach bedauern. Als Dank für seine Arbeit überreichte Sabine Kuhnt Leckeres vom Schlockerhof und einen formschön gearbeiteten Segensspruch. „Wir möchten auch weiterhin einmal im Monat einen virtuellen Gottesdienst und Gespräche anbieten“, verspricht Marie-Luise Hanek. 

Bereits Mitte Juli beginnt Vikar Neethen ein Spezialvikariat am Benediktushof in Würzburg. In welche Gemeinde ihn einmal das Pfarramt führen wird, ist noch nicht klar. Sicher ist für ihn jedoch, dass er sich künftig für die Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen in der Gemeinde einsetzen wird.
Foto (EVIM): Sabine Kuhnt (links) überreicht Vikar Neethen ein Dankeschön vom Haus im Beisein von Marie-Luise Hanek.