Ein neues Schmuckstück auf dem Hügel in Wiesbaden

Edeltraut Höppner hat das schönste Zimmer von allen. Davon ist die Klientin im Wohnverbund Pfitznerstraße in einer der attraktivsten Wiesbadener Wohnlagen ganz und gar überzeugt. Lächelnd sitzt sie auf dem Bett neben ihren Puppen, schaut auf die bodentiefen Fenster ins Grüne und sagt dann: „Ich will nicht zurück.“ Das ist auch gar nicht angedacht, denn sie ist eine von 24 Klientinnen und Klienten mit Beeinträchtigungen, die seit Anfang Juni im neuen Wohnhaus leben. Dieses ersetzt einen Teil des Altbestandes, der in die Jahre gekommen ist.

Heute, mit Blick auf die schicke Fassade, kann man nur noch erahnen, wie aufwändig diese Baumaßnahme war. Angefangen von den Planungen, dem zeitweiligen Umzug der Klienten ins benachbarte Ludwig-Eibach-Haus, über den Abriss bis hin zum Neubau. In allen Phasen wurden die Klienten, die Angehörigen und das Team ‚mitgenommen‘ und waren daran beteiligt. Zu dem kamen die Abstimmungen mit dem Landeswohlfahrtsverband, dem Träger und allen direkt am Bau Tätigen. „Manchmal“, so Einrichtungsleiter David Pfirrmann im Rückblick, „kam da schon die Frage auf, ob das zu schaffen ist.“ Doch die Mühe der vergangenen fünf Jahre hat sich gelohnt. Und wie sie sich gelohnt hat!

„Die Klienten sind viel entspannter“

Der Ersatzneubau besticht durch ein großzügiges Raumkonzept, das Bereiche der Tagesgestaltung und des Wohnens vereint. In das neue Gebäude sind vorwiegend jene Klienten eingezogen, die durch ihre Beeinträchtigungen einen hohen Assistenzbedarf haben. Jeder wohnt in einem Einzelzimmer mit bodentiefen Fenstern und kann dadurch am Geschehen draußen teilhaben. „Im Gegensatz zu manch anderem finden es die Klienten bei uns toll, an der Straße zu wohnen. Das bringt zusätzlich Abwechslung und immer mal was Neues“, freut sich auch David Pfirrmann. Zu jedem Zimmer gehört ein Bad, das alle Vorzüge der Barrierefreiheit vereint. Einige Klienten wurden vom Team der Einrichtung besonders unterstützt, damit sie sich ihren Wohlfühlort schaffen konnten. Bei anderen halfen engagiert die Angehörigen, das Zimmer schön einzurichten.

Begeistert berichtet Gruppenleiterin Franziska Niller davon, wie wohltuend das neue Raumgefühl und die moderne Ausstattung auf die Menschen wirken. „Die Klienten sind viel entspannter“, sagt sie bei einem Rundgang durch das Haus. „Das hätten wir in dieser Intensität nicht erwartet.“ Wer zuvor in den Doppelzimmern wenig Schlaf gefunden hatte, käme jetzt nachts zur Ruhe und sei dadurch auch am Tag spürbar besser ‚unterwegs‘. In der „Fernsehecke“, die eher an eine Lounge mit Wintergartenambiente erinnert, hat es sich ein Klient gemütlich gemacht und schaut auf dem Großbildschirm seine Lieblingsfilme mit Laurel und Hardy. Eine andere, lichtdurchflutete Ecke ist mit Entspannungsschaukel und Sofalandschaft ausgestattet. Die Weitläufigkeit bringt aber noch einen ganz anderen Vorteil. „Alle sind dadurch mehr in Bewegung und mobiler“, bemerkt schmunzelnd die Gruppenleiterin.

Besondere Oasen in der Wohnlandschaft

Beliebte Treffpunkte sind natürlich die Orte, an denen gekocht und gebacken wird, wo es nach Leckerem duftet, was die Sinne erfüllt. Beide Etagen verfügen über eine hochwertig ausgestattete Küche. Eine große Durchreiche ermöglicht auch jenen Klienten Einblick, die nicht bei der Zubereitung mithelfen können oder möchten. „Wir kochen zum Teil täglich frisch und lassen auch Speisen aus Hattersheim anliefern“, sagt Franziska Niller.

Sehr gefragt ist auch der Snoezelen-Raum, der es besonders Menschen mit starken Spastiken und hohem Bewegungsdrang ermöglicht, körperlich und seelisch zu entspannen: durch spezielle Lichtelemente, aber auch durch ein Wasserbett, das die Resonanz der Klänge überträgt und Musik dadurch spürbar werden lässt. Last but not least ist das große Pflegebad „sehr beliebt bei den Leuten“, wie Franziska Niller zu berichten weiß. 

Mal_anders ist gefragt

Natürlich sind wenige Wochen nach dem Umzug noch nicht alle Details perfekt. Ein Sonnenschutz auf der Terrasse und die Begrünung gehören mit dazu. Aber auch die Wandgestaltung in den Gemeinschaftsbereichen. Hier hat die Einrichtung den echten Heimvorteil mit dem Mal-Atelier auf ihrem Gelände. Nachdem der Pavillon zunächst den Bauarbeiten weichen musste, ist er jetzt wieder an seinem angestammten Ort. Der Einrichtungsleiter und der künstlerische Leiter von Mal_anders, Artjom Chepovetskyy haben bereits erste Ideen zu Auftragswerken für die Art-Brut Künstlerinnen und Künstler. Vielleicht wird es im Neubau auch mal eine Galerie geben, wie David Pfirrmann es sich vorstellen kann.

Bei so viel Lob und Ehr für das neue Haus kommt da nicht Neid auf bei den Bewohnern, die im Altbestand geblieben sind? „Bisher nicht“, sagen beide Leitungskräfte. Denn in den großen Doppelzimmern im Altbestand wohnt jetzt jeweils nur ein Klient. Zudem habe man durch die Belegung des Ersatzneubaus die Bewohnerstruktur in allen Häusern neu arrangiert. „Somit sind nicht „nur“ 24 Umzüge erfolgt, sondern wir haben insgesamt 50 Umzüge vollzogen“, berichtet der Einrichtungsleiter. Das hat mit dazu beitragen, dass die Zufriedenheit mit der Wohnsituation sich insgesamt verbessert hat.

Foto: Schaukeln mit dem Blick nach draußen. Auch in den Ruhe-Oasen fühlen sich die Klienten sehr wohl.