„Bei genauer Betrachtung hat sogar das sozial eingeschränkte Leben in Zeiten der Pandemie auch Vorteile“, sagt die 40jährige, die als Jugendliche psychisch erkrankte und seit mehreren Jahren in verschiedenen Wohnformen von EVIM lebt. Eine Erkenntnis für sie sei, dass man sich in der kürzer gehaltenen Kommunikation viel stärker auf das Wesentliche besinnen müsse. Eine andere, dass sich derzeit viele Menschen mit dem Thema „Ausgrenzung“ konfrontiert sehen und Erfahrungen machen, die sie kennt und unter denen sie leidet. Das vermittle ihr das Gefühl, nicht anders als andere zu sein.
Manuela Maurer, die auch Klientenbeirätin ist, lebt seit einem Monat in einer Zweier-WG im Wiesbadener Stadtteil Biebrich. Der Umzug aus einer großen Wohngemeinschaft in das neue Zuhause gegenüber dem Schlosspark tat ihr richtig gut. „Ich bin sehr zufrieden mit meiner Betreuerin und mit der Betreuung“, sagt sie. Mit ihrer Mitbewohnerin verstehe sie sich gut. Noch stehen einige Kartons verpackt in der Wohnung, weil sie Mobiliar durch den Lockdown nicht einkaufen kann. Überhaupt vermisse sie es, in der Innenstadt zu flanieren. Sie habe ein „Shopping-Herz“, bekennt sie schmunzelnd, „egal ob ein Burger oder ein Kleid in der Tüte ist.“ Ganz besonders aber vermisst sie das Fitness-Studio, ein Ort, der für sie „wie ein Zuhause“ war. „Das fehlt mir sehr, um mich besser zu fühlen.“ Durch den Lockdown habe sie leider ihr Abo kündigen müssen, doch am neuen Wohnort bereits ein günstiges Angebot gefunden.
Sorgen bereitet ihr indes vieles, was mit der Pandemie in Verbindung steht. Es bedrückt sie zum Beispiel sehr, dass die häusliche Gewalt in der Gesellschaft zunimmt und ganz besonders die Kinder darunter leiden. Auch habe sie Angst vor dem Verlust so vieler wertvoller Menschen auf der Welt. Oder dass Kleinunternehmen in großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind. Als Bezieherin von Sozialhilfe ist auch ihre eigene finanzielle Situation nicht einfach. „Über die kürzliche Einmalzahlung war ich sehr froh.“ Verändert haben sich ihre familiären Kontakte. Mit ihrer 92jährigen Großmutter, die in einer Seniorenwohnanlage in Hessen lebt, telefoniere sie regelmäßig. „Aber sie ist durch die Besuchsbeschränkungen trauriger geworden“, spürt sie. Ihr Vater habe große Angst vor einer Erkrankung und hoffe inständig auf eine Impfung. Die Familie ihres Bruders habe sie pandemiebedingt längere Zeit nicht gesehen.
Neue Kontakte tun sich hingegen im benachbarten Katharinenstift auf. Dort habe sie nachgefragt, ob sie ehrenamtlich mithelfen kann. „Ich möchte mich nützlich machen“, das sei ihr wichtig. Es war für sie ein tolles Gefühl zu erleben, dass die Mitarbeiter sich richtig Mühe gegeben haben, um ihr mit einem passenden Angebot zu helfen. So wird sie nun mit dafür sorgen, das Außengelände des Seniorenzentrums sauber zu halten. Das ist ein weiterer Erfolg für sie, Barrieren zu überwinden. „Ich glaube an Heilung“, sagt die junge Frau, die viele Brüche in ihrer Biografie zu verzeichnen hat. Sie möchte weiter vorankommen und ihren Platz im Leben finden. Das gelang ihr in den vergangenen Jahren so gut, dass die gesetzliche Betreuung, die sie hatte, vor kurzem aufgehoben wurde. Das brachte sie zur Erkenntnis, dass es nicht unmöglich ist, in diesem Leben zu bestehen.
Grund zur Hoffnung besteht für sie durch die Impfung und die in Aussicht gestellten Lockerungen, trotz dem vieles, was damit im Zusammenhang steht, aus ihrer Sicht noch nicht abschließend beantwortet werden kann. Ein Herzenswunsch von ihr ist, einmal in einem Chor zu singen und einer Wandergruppe beizutreten. Darauf freut sie sich sehr.
(von Heide Künanz, 10.05.2021)
Anmerk.d.R. Der Artikel ist Teil einer Serie, in der Menschen, für die EVIM Mitarbeitende da sind, ihre Erfahrungen in der Pandemie reflektieren.