„Inklusion für eine Jugendhilfe von morgen“ – Fachaustausch zum neuen Kinder- und Jugendstärkungsgesetz

Seit dem 10. Juni 2021 ist das neue Kinder- und Jugendstärkungsgesetz in Kraft und sieht weitreichende Neuerungen im ehemaligen Kinder- und Jugendhilferecht nach SGB VIII vor. Eine wichtige Neuerung ist das Ziel einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe, die stufenweise bis 2028 umgesetzt werden soll.

Die Träger der Kinder- und Jugendhilfe befinden sich bereits im fachlichen Diskurs, um die Ausführungen des Gesetzes mit Leben zu füllen und Inklusion für alle Kinder und Jugendlichen lebbar zu machen. Diesem Ziel diente der Fachtag, zu dem das Projekt Inklusion Jetzt! - eine Arbeitsgemeinschaft bestehend aus den evangelischen und dem katholischen Erziehungsverbänden EREV und BkVE - und die EVIM Jugendhilfe als Organisator des Treffens Anfang November in Mainz eingeladen hatten.

Großes Interesse an Mitgestaltung

Der Fachaustausch traf auf große Resonanz, denn die Reform stelle die Träger vor eine „riesengroße, personelle und inhaltliche Herausforderung“, wie Olav Muhl, stellvertretender Fachbereichsleiter der EVIM Jugendhilfe berichtete. Wichtig sei, diese Prozesse seitens der Jugendhilfe und Behindertenhilfe im Dialog kritisch zu begleiten. „Dafür steht dieser Fachtag in exemplarischer Weise“, so Muhl. Simone Wittek-Steinau würdigte in ihrer Begrüßung die Arbeit des Projektes Inklusion jetzt!, die bereits anderthalb Jahre vor der Verabschiedung des neuen Gesetzes ins Leben gerufen wurde. „Die Idee war, mit 10 Modellstandorten zu beginnen, um die geplanten Änderungen mit fachlichen Impulsen und Konzepten anzureichern. Tatsächlich signalisierten über 60 Einrichtungen ihr Interesse und nehmen seitdem aktiv an dem Fachaustausch und der Mitgestaltung der Prozesse teil“, so die Referentin für Personalentwicklung und Kooperation der EVIM Jugendhilfe.

„Radikale Subjektorientierung“

Daniel Kieslinger, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Inklusion Jetzt! machte in seinem Expertenvortrag deutlich, wie umfassend, vielfältig und intensiv die Vorbereitungen bereits laufen, was bisher erreicht wurde und welche Herausforderungen noch zu bewältigen sind. „Inklusion ist ein Prozess mit dem Kinderschutz als Maxime“, beschrieb Kieslinger das Thema im Spannungsfeld der Erziehungshilfen. Echte Inklusion erfordere eine „radikale Subjektorientierung“ und gehe weit darüber hinaus, überall barrierefreie Zugänge zu installieren, so der Fachexperte. Das inklusive Selbstverständnis beinhalte die „selbstbestimmte Teilhabe und den Abbau bestehender Barrieren“  – in jeglicher Hinsicht. In seinem spannenden Vortrag informierte der Fachexperte über die Meilensteine, die in Bezug auf die Hilfeplanung, Elternarbeit und Partizipation und Selbstbestimmung bereits erreicht worden sind. Weitere Zielsetzungen beinhalten die Schnittstellen und das Übergangsmanagement, das große Thema Finanzierungsmodelle, Kinderschutz und die Vernetzung örtlicher und überörtlicher Träger der Jugendhilfe und Behindertenhilfe. Die große Bereitschaft der Mitarbeitenden in der Kinder- und Jugendhilfe, inklusiv arbeiten zu wollen, zeigte sich im Ergebnis einer Mitarbeiter-Befragung, auf die Kieslinger verwies. Zwei Drittel der Befragten befürworteten, sich im Sinne einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe auf den Weg zu machen. Das sei, so Kieslinger, eine „sehr gute Ausgangsbasis“ für die weitere Arbeit.

Gelungener Auftakt

Die Möglichkeiten für eine inklusive Organisationsentwicklung beschrieb Prof. Thomas Meyer DHWB Stuttgart in seinem anschließenden Fachvortrag zum Inklusionsindex. Im weiteren Verlauf des Fachtages referierten Stefan Moelleney, Amtsleitung des Amtes für Jugend und Familie Fulda und Konstantin Schäfer, transfer Unternehmen für soziale Innovation zu Themen, die der sachgerechten Beschreibung von Beeinträchtigung und Teilhabebarrieren auf der Grundlage der geltenden gesetzlichen Bestimmungen dienen. Schlüsselbegriff ist dieinternationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF), die verschiedene Ebenen einbezieht, um eine Behinderung möglichst genau in ihren Auswirkungen für die Person in ihrer Lebenswirklichkeit beschreiben zu können.

In Arbeitsgruppen diskutierten die Teilnehmer:innen praxisrelevante Themen. Simone Wittek-Steinau freute sich über das große Interesse in der Region. „Es haben zahlreiche Einrichtungsleitungen, Vertreter:innen von Fachschulen und Hochschulen, Jugendamtsleitungen und Mitarbeiter:innen teilgenommen. Das ist ein guter Auftakt für eine fachlich gute Diskussion im Sinne einer gemeinsamen und inklusiven Hilfe für alle Kinder aus einer Hand.“
(Heide Künanz)

Foto (EVIM): (v.l.n.r.) Das Veranstaltungsteam: Daniela Berger, Daniel Kieslinger, Oliver Hinnemann, Simone Wittek-Steinau, Olav Muhl, Sonja Sturny, Jakob Loeb, Arne Cammans