Mehr als nur ein ‚Tick‘ – Professioneller Umgang mit herausforderndem Verhalten

Karl B.*(Name geändert) ist extrem aufgeregt und kann sich kaum verbal äußern. In dieser Situation räumt er alles ab, verschiebt alles, ist ständig in Bewegung, trommelt an Türen und Holzwänden. Manchmal experimentiert er mit der eigenen Stimme, ein stundenlanges hohes Schreien, und wartet auf Rückmeldung. Herausforderndes Verhalten von Klienten in den Einrichtungen der Behindertenhilfe kann ganz unterschiedlich auftreten, stellt aber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oft vor erhebliche Probleme und Belastungen.

Gefragt sind in diesen Situationen Handlungskompetenzen die es ihnen ermöglichen, adäquat auf diese Verhaltensweisen zu reagieren und professionell damit umzugehen. Eine gemeinsame Fortbildung von EVIM Fachpersonal im Betreuten Wohnen und in der Wohnanlage für Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen Schlocker-Stiftung zum ‚Professionellen Deeskalationsmanagement‘ (ProDeMa) begeisterte und motivierte Mitarbeiter/innen, sich als Trainer ausbilden zu lassen, um die Kolleginnen und Kollegen bereichsintern zu schulen.

Tobias Löhrke, Mitarbeiter in der Wohnanlage der Schlocker-Stiftung und des Betreuten Wohnens, gehört mit zu den ‚Pionieren‘, die nach erfolgreichem Abschluss jetzt als Trainer das ProDeMa-Konzept in den Einrichtungen der EVIM Behindertenhilfe multiplizieren. Für ihn war die Inhouse-Schulung ein Meilenstein auf dem Weg zu einem professionellen Selbstverständnis seiner Arbeit. „Die Fortbildung hat mir wahrhaftig die Augen geöffnet“, bekannte er freimütig. Hatte er zunächst die Vorstellung, in der dreitägigen Fortbildung ‚ein wenig Selbstverteidigung‘ zu lernen, um sich in ‚brenzligen Situationen‘ besser schützen zu können, wurde er schnell eines Besseren belehrt. „Denn das Konzept von ProDeMa möchte und kann deutlich tiefer gehen und hat das Ziel, multi-perspektivisch auf die Besonderheiten unsere Klienten zu schauen. Um aus einem tiefgreifenden Verständnis für die „Blackbox Klient“ Handlungskompetenzen zu entwickeln, die dafür sorgen, herausforderndes Verhalten im Idealfall schon auszuschließen, bevor es überhaupt entsteht und wenn doch, im Verlauf bestmöglich zu begleiten.“ Die Fortbildung half ihm, seine Gesprächsführungstechniken deutlich weiterzuentwickeln, was zu einer höheren Arbeitszufriedenheit führte. „Plötzlich konnte ich sehr viele der zuvor befremdlichen Verhaltensweisen meiner Klienten verstehen und nachvollziehen“, so Löhrke. Die weiteren Erfahrungen haben ihm gezeigt, dass sich das Erlernte hervorragend in der Praxis bewährt. Das Angebot, eine Ausbildung zum Deeskalationstrainer zu absolvieren, hat er daher mit Freude angenommen. 

„Der Umgang mit herausforderndem Verhalten und Deeskalation in Betreuungs- und Alltagssituationen ist eine wichtige Kompetenz in allen Bereichen der Behindertenhilfe. Es werden vier Mitarbeiter aus unterschiedlichen Bereichen ausgebildet, die zukünftig einrichtungsübergreifend Fortbildungen für ihre Kolleginnen und Kollegen anbieten werden“, betont Renate Pfautsch, Geschäftsführerin der EVIM Behindertenhilfe. So wird bereits Anfang kommenden Jahres Alexander Plackties, Mitarbeiter der Werkstatt Schlocker-Stiftung, seine Ausbildung beenden und sein Wissen weitergeben können.

In seiner Funktion als Trainer schulte Tobias Löhrke erstmals im September seine Kolleginnen und Kollegen. Drei Tage lang beschäftigten sich die Teilnehmer mit den theoretischen Grundlagen, praktischen Übungen und den kommunikativen Deeskalationstechniken im direkten Umgang mit hochgespannten, herausfordernden und/oder verbal aggressiven Klienten. „Hierzu wurde eine ganze Reihe Situationstrainings inszeniert und durch Video-Feedback ausgewertet, um allen Teilnehmern eine größtmögliche Lernerfahrung zu ermöglichen“, so Löhrke. Das positive Feedback der Teilnehmer habe gezeigt, dass das Angebot zu mehr Handlungssicherheit im professionellen Umgang mit Klienten im Alltag beiträgt und ein wichtiger Baustein im Gesamtkonzept ist. Weitere Schulungen sind geplant.