Grenzerfahrungen sind auch für Nadine Arufe Teil der sozialen Arbeit. Die 31jährige Sozialarbeiterin in der EVIM Jugendhilfe betreut mit einem Team acht Kinder und Jugendliche im Alter von zehn bis 17 Jahren, die aus unterschiedlichen Gründen nicht bei ihrer Familie leben können oder wollen. Der Film „Systemsprenger“ sei aus ihrer Sicht weitgehend realistisch. Besonders berührt habe sie die Szene, als die zehnjährige Benni auf einer Bergklippe steht und nach ihrer Mama schreit. Der Widerhall ihres Rufes habe die ganze Hilflosigkeit des Kindes zum Ausdruck gebracht. In dieser wie auch in anderen Filmszenen gebe es einige Parallelen zu ihrer Arbeit, bekennt die Fachexpertin. Sie bezieht sich dabei auch auf die Konfrontation mit der eigenen Hilflosigkeit in Situationen, die aussichtslos wirken und in denen Helfer an ihre Grenzen kommen – eine Erfahrung, die sie wie auch andere aus ihrer Arbeit kennen.
An Grenzerfahrungen wachsen
So berichtet sie über ein zehnjähriges Mädchen, das seit zwei Jahren in der Wohngruppe lebt. Nadine Arufe war zu jener Zeit noch nicht fest in der Einrichtung tätig. „Der Anfang der Betreuung war für alle in diesem Fall sehr schwierig und belastend“, erinnert sie sich. Das Mädchen hatte „Schlimmes“ zu Hause erfahren und kannte keine festen Strukturen; die Mutter war mit ihr und ihrem Geschwisterkind völlig überfordert. Trotz dieser häuslichen Schwierigkeiten habe das Kind eine enge Bindung an die Mutter. Sie besucht sie jedes zweite Wochenende, telefoniert mit ihr jeden Abend zum Gute-Nacht-Sagen. Hinzu kommt, dass ihr jüngerer Bruder bei der Mutter leben kann. „Sie vermisst ihre Familie total, merkt aber gleichzeitig, dass es ihr hier gut und sogar besser geht.“ Das führt bei der erst Zehnjährigen dazu, dass sie das Bedürfnis hat, alles um sich herum zu zerstören. „Schreien, schlagen, die ganze Hilflosigkeit äußert sich bei ihr in Aggression.“ Mit ihrem Schrei nach Aufmerksamkeit fordert sie diese total ein. Und wehrt sich dagegen, wenn sie Aufmerksamkeit bekommt und diese ihr gut tut. Ein Teufelskreislauf, in dem das Kind gefangen ist. Gerade bei diesem Mädchen habe Nadine Arufe jedoch das Gefühl, ihm eine besonders gute Zeit machen zu wollen und einen „guten Hafen“ zu bieten, einem Kind, das gerne mit Puppen spielt, am liebsten in ihrem rosa gestrichenen Zimmer. Damit kam die Sozialarbeiterin immer wieder an ihre Grenzen, zumal sie persönlich die Tendenz habe, Dinge zu nah an sich ranzulassen. Das trug mit dazu bei, dass der Konflikt sich immer weiter hochschaukelte und nur noch „Abstand“ half. „Es war für mich ein langer Prozess zu lernen, dass mein Bedürfnis nach Harmonie nicht auch ihres ist“, sagt Nadine Arufe nachdenklich. Es helfe dem Kind nicht, seinem Werben um Aufmerksamkeit grenzenlos nachzugeben. „Das Mädchen kommt mit klaren Worten zu mehr Sicherheit, zum Beispiel, die Zeit des gemeinsamen Spielens im Vorhinein genau festzulegen.“ Wie reagieren die anderen Betreuten auf die Gefühlsausbrüche des Mädchens? Nadine Arufe: „Natürlich schützen wir die Gruppe. Aber ich bin oft verblüfft, wie erwachsen die anderen reagieren.“
Den „Bann“ durchbrechen
Nadine Arufe glaubt, dass die altersgemischte Wohngruppe mit ihrer familiären Atmosphäre der richtige Platz für das Mädchen ist. Und sie hofft, dass durch das, was die Betreuerinnen und Betreuer ihm vorleben, der „Bann“ durchbrochen werden kann: dass die häusliche Erfahrung mit Jugendhilfe nicht von einer Generation an die nächste weitergeben wird. In diesem Zusammenhang würdigt sie die positive Darstellung der Jugendamtsmitarbeiterin im Film. In der öffentlichen Wahrnehmung steht fast immer das „Amt“ im Vordergrund. Der Film zeige jedoch den engagierten Menschen, der an seine Grenzen kommt. „Ich habe Respekt vor der riesigen Verantwortung der Mitarbeitenden im Jugendamt, die Entscheidungen fällen müssen“, sagt Nadine Arufe. „Wir als Betreuende sind dafür da, den Kindern einen sicheren Ort zu geben.“
Als segensreich erweisen sich dabei auch die tierischen Therapeuten wie „Esta“, die Mischlingshündin von Nadine Arufe. „Tiere sind wahre Eisbrecher“, sagt die Sozialarbeiterin lachend. Man hoffe, die „total guten Erfahrungen“ beim Einsatz von Tieren in der pädagogischen Arbeit künftig weiter auszubauen zu können. (hk)