Die Jugendhilfe ist die Keimzelle der Hilfsorganisation, mit einem „Rettungshaus“ für junge Menschen startete EVIM vor 175 Jahren. Und auch heute gilt noch: Manchmal brauchen Familien Hilfe bei der Erziehung, und bei EVIM finden sie diese in unterschiedlicher Weise, erklärte Klaus Friedrich, Geschäftsführer des Unternehmensbereichs. Kinder und Jugendliche können in EVIM-Wohngruppen leben oder auch nur gewisse Zeiten dort verbringen, oder es gibt die Möglichkeit, dass Mitarbeitende zu den Familien kommen: Stationär, teilstationär oder ambulant werden diese Möglichkeiten genannt.
Drei, die davon profitiert haben, sind Chris, Melli und Elisa. Sie waren bereit, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Chris ist durch seine Zeit bei EVIM so geprägt worden, dass er nun selbst Soziale Arbeit studiert. „Ich möchte das weitergeben, was ich gelernt habe“, sagte der junge Mann. Und, von Moderator Daniel Schmidt eingehender befragt, meint er sogar: „Die Regeln in den Wohngruppen hätten ruhig noch strenger durchgesetzt werden können.“ Denn durch Regeln lerne man. Und das sei wichtig, wenn man Struktur und Halt benötigt. Melli hat ebenfalls „ihr Ding“ über EVIM gefunden: Die junge Frau ist Tierpflegerin geworden. Tiere spielen in der Jugendhilfe bei EVIM eine große Rolle: Hunde, Hühner, Pferde zum Beispiel.
Das Leben meistern lernen
Ein wichtiges Stichwort in der Jugendhilfe heißt „Verselbstständigung“. Das geht in kleinen Schritten, so Regionalleiter Tobias Emmel. „Wie man Wäsche sortiert und wäscht. Wie man für sich alleine kocht – oder auch mal für mehrere. Dass man rechtzeitig aufstehen muss, um zur Arbeit zu kommen. Wie man Haushalt und Finanzen plant. Selbstverantwortung, Gruppenfähigkeit: Das Leben, den Alltag meistern eben.“ Das Ziel ist es, eine eigene Wohnung zu finden und strukturiert zu leben. Diese Skills werden jeweils individuell gestärkt, ganz auf die Lebensgeschichten der einzelnen Jugendlichen passend zugeschnitten. „Irgendwann soll es ohne uns gehen. Aber den Weg begleiten wir“, sagt Emmel.
Dass es gut klappt, bestätigen die drei Jugendlichen. „Es fühlt sich gut an, in einer eigenen Wohnung zu leben, nach den vielen Jahren in der Wohngruppe“, sagt Elisa. „Wir haben es gemeinsam Schritt für Schritt vorbereitet“, meint Melli. „Ich musste erst lernen, Unterstützung anzunehmen“, gibt Chris zu. Es gibt auf beiden Seiten Herausforderungen, das weiß auch Tobias Emmel. Nicht nur beim Prozess, auch ganz praktisch: „Eine Wohnung zu finden ist heute nicht einfach und furchtbar teuer“, weiß er. Wiesbadens Sozialdezernentin Dr. Patricia Becher weiß das auch. Man versuche von Seiten der Politik, diesen Herausforderungen zu begegnen. Nicht leicht in Zeiten knapper Haushalte. Außerdem gebe es „kein Schema F“. In Wiesbaden arbeite man sehr gut mit Trägern wie EVIM zusammen, höre einander zu, lote die Bedarfe aus. „Wir müssen dranbleiben“, sagte die Politikerin. Der Druck sei in der Tat hoch. Und man müsse ständig prüfen, ob die vorhandenen Strukturen und Angebote noch passten. „Prävention ist auf jeden Fall wichtig, man kann gar nicht früh genug anfangen, hinzuschauen und zu helfen. Es lohnt sich, um jeden Cent zu kämpfen. Das ist gut investiertes Geld.“
Herausforderungen gemeinsam bewältigen
Eine weitere Herausforderung benannte Klaus Friedrich: „Auch hier spüren wir den Fachkräftemangel. Wir brauchen ja rund um die Uhr, jeden Tag Leute. Und der Markt ist leergefegt.“ Das ist nicht einfach zu beeinflussen. Aber auch bei EVIM macht man das Beste aus der Situation. „Wir denken lösungsorientiert“, sagte die Dezernentin. Man wolle auch auf keinen Fall sozial schwächere Gruppen gegeneinander ausspielen. „Das Thema ist hochkomplex.“ Doch eins betonte Tobias Emmel: „Das Leben und Arbeiten mit den Jugendlichen macht mir viel Spaß.“ Auch wenn sie teilweise schwere „Rucksäcke“ mitbringen: „Wir helfen ihnen zu sortieren. Den Rucksack nach und nach leichter zu machen.“ Es gibt Erfolgsgeschichten wie jene der drei, die hier bereit waren, ihre eigenen Erfahrungen zu teilen. Was wünschen sie denen, die nach ihnen kommen? „Genauso tolle Leute wie die, denen ich begegnet bin“, sagt Chris. „Dass man das Positive bei ihnen sieht, nicht nur die Probleme“, wünscht sich Elisa. Und Melli meint: „Dass beide Seiten gut zusammenarbeiten. Nur dann hat man richtig gute Chancen.“ (aja)