Schwänzen, schlechte Noten, wenig Motivation, also noch mehr Schwänzen: Das ist ein Teufelskreis und führt oft dazu, dass kein Abschluss erreicht wird – so wichtig heute, um beruflich Fuß fassen zu können. Am Campus Klarenthal, einem der jüngsten Bildungsprojekte in der 175jährigen EVIM-Geschichte, versucht man anders zu handeln, um die Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt zu stellen und ihnen Erfolgserlebnisse zu ermöglichen.
Eltern einbeziehn
„Schon in der Grundschule zeigen sich oft Probleme“, sagte Talkgast Daniel Bognar vom Hessischen Kultusministerium. „Es beginnt mit Unpünktlichkeit. Doch man muss auch die Gründe herausfinden, warum ein Kind zu spät kommt oder schwänzt. Das hat auch mit den Eltern zu tun. Oder mit dem Medienkonsum. Wir brauchen also kreative Angebote. Und auf jeden Fall müssen die Eltern einbezogen werden.“ Das wird am Campus Klarenthal praktiziert. Vor allem aber wird hier auf jedes Kind individuell eingegangen. „Da wird dann schon einmal als Grund des Zuspätkommens herausgefunden: Das Mädchen muss ihren kleinen Geschwistern Frühstück machen, die Eltern können es nicht.“ Auf solche Umstände einzugehen, ist wichtig. Einfach nur Frontalunterricht, Wissensvermittlung wie früher, das geht heute nicht mehr. Das weiß auch Karin Rosenthal, von Anfang an beim Campus tätig und unter anderem zuständig für die Aufnahme neuer Kinder. „Oft kommen verzweifelte Eltern, ihre Kinder haben die Lust am Lernen verloren. Wir versuchen, sie wieder zu wecken. Denn Lernen soll Spaß machen. Und auch ein achtsamer Umgang miteinander gehört dazu.“
Kinder erleben sich als Akteur:innen
Auch Schulleiter Uwe Brecher weiß, dass Schulprobleme ganz unterschiedliche Ursachen haben können. „Depressionen, Ängste können Kinder aus dem Takt bringen. Wir versuchen, passende Regeln und Rituale zu schaffen, um wieder Struktur ins Leben zu bringen. Den Kindern wird auch Verantwortung zugemutet. Regelmäßige Arbeitsgespräche gehören bei uns dazu. Alle Aufgaben werden in der Schule erledigt, damit die Zeit daheim „Premiumzeit“ ist. Und wir ermutigen auch die Eltern, regelmäßige Gespräche über die Schule mit den Kindern zu führen.“ Die Kinder erlebten sich hier als Akteur:innen, ihnen werde nichts übergestülpt. Man müsse immer in Bewegung bleiben, sagt Brecher. „Wir leben im Hier und Jetzt, reagieren auf Herausforderungen flexibel und machen differenzierte Angebote.“
Natürlich komme es auch auf die finanzielle Ausstattung an, das weiß auch der Vertreter des Kultusministeriums. Er appellierte an Ältere, sich ehrenamtlich an Schulen zu betätigen. „Das ist für alle ein Erfolgserlebnis“. Vorlesen, Schulpaten, Engagement beim Gestalten von Schulhöfen: Da gebe es gerade in Wiesbaden verschiedene sinnvolle Ansätze. Und EVIM selbst biete ein großes Ehrenamtsspektrum. „Man bekommt von allen Seiten nur positive Rückmeldungen“; berichtet Carlos Müller.
Schule als Ort, wo Kinder aufwachsen
Neben Campus Klarenthal umfasst die Sparte Bildung bei EVIM noch die Förderschule am Geisberg, wo auf besondere Umstände noch besser eingegangen werden kann. Dazu gibt es noch die Schule und die Kita für Kinder beruflich Reisender, ein Sonderprojekt, bei dem mit mobilen „Klassenräumen“ eine ganz spezielle Zielgruppe wie beispielsweise Zirkus- oder Schaustellerfamilien erreicht wird. Auf jeden Fall: „Schule muss wieder wertvoller werden“, meint Carlos Müller. So, wie er und sein Team es verstehen, ist Schule nicht nur zum Lernen da, sondern auch zum Leben, zum Verinnerlichen von Werten, für sinnstiftend verbrachte Zeit, das Entstehen von Beziehungen. „Es ist ein Ort, wo Kinder aufwachsen.“ Ein Ganztagskonzept sei dabei besonders wichtig.
Wichtig auch: Die Lehrkräfte müssen sich ebenso wohlfühlen. Daher habe man multiprofessionelle Teams mit Fachleuten aus Schulsozialarbeit, Sozialpädagogik und auch externe Expert:innen aus Handwerk, Regie, Naturwissenschaft geschaffen, die sich die Aufgaben sinnvoll untereinander aufteilen. Der Alltag ist spannend, anregend und läuft nicht nach „Schema F“ ab. Eine gute Voraussetzung, um wieder Lust am Lernen und auf Schule zu wecken. Da herrschte Einigkeit bei den Praktikern von Schule und Behörde. (aja)