Tolles soziales Miteinander in Zeiten einer „Riesen-Anspannung“

Die Vokabeln „Panik“ oder „Angst“ will Frank Kadereit nicht in den Mund nehmen. Aber er sagt „Wir stehen alle unter einer Riesenanspannung.“ Als Geschäftsführer der EVIM-Altenhilfe mit 13 Einrichtungen im Rhein-Main-Gebiet trägt er die Verantwortung für rund 1200 Bewohnerinnen und Bewohner und knapp 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Noch ist – Stand 24. April – kein Corona-Fall in EVIM-Einrichtungen aufgetreten. „Aber wir sehen ja, dass in benachbarten Städten schon Heime betroffen sind. Corona ist ja nicht drin, es wird von außen reingetragen. Deswegen muss man unglaublich wachsam sein“, sagt Kadereit. Das bedeutet: Jeder Mitarbeiter, der auch nur das leiseste Symptom zeigt – Husten oder Halsschmerzen zum Beispiel – wird sofort angewiesen, zu Hause zu bleiben. Das führt zu einem dreimal so hohen Krankenstand wie sonst. „Wir sind fast bei zehn Prozent“, berichtet Frank Kadereit. Das bedeutet für die restlichen Beschäftigten, dass sie das mit auffangen müssen- und dazu noch das, was die Ehrenamtlichen sonst täglich leisten, denn diese dürfen momentan überhaupt nicht in die Einrichtungen kommen. Corona-Tests für Mitarbeiter mit Krankheitsverdacht seien schwierig zu organisieren.

„Dies ist eine so noch nie dagewesene Situation“, meint Kadereit. „Norovirus oder Influenza treten ab und zu auf und für so etwas sind wir vorbereitet. Aber dies ist größer als alles bisher Erlebte.“ Schutzausrüstungen seien noch vorhanden, aber der Markt sei absolut leergefegt. „Seit Januar kam nichts nach. Die letzte Lieferung aus China war schon im Container und wurde vor Ort dann beschlagnahmt.“ Ständig erhalte man „irgendwelche dubiosen Angebote von Möbel- oder Elektronikhändlern“, die Masken oder anderes verkaufen wollen. Da müsse man auf der Hut sein, um nicht Fakes anheimzufallen. „Zuverlässige Lieferanten zu finden ist schwer.“ Schwierig sei auch, dass alle neuen Bewohner – denn aufgenommen wird nach wie vor, um Familien aus Notsituationen zu helfen – 14 Tage lang absolut isoliert werden müssen, genau wie jene, die nach einem Krankenhausaufenthalt wieder in die Heime kommen.

Einnahmen entgehen gleichzeitig durch die Schließung der Kurzzeit- und Tagespflegeeinrichtungen. „Es gibt einen Rettungsschirm der Pflegekassen. Aber der deckt nicht alles ab.“ Auch die Reinigungsmaßnahmen sind viel aufwendiger und damit teurer. Das System stoße tatsächlich gerade an seine Grenzen. „Wir werden noch weit bis ins Jahr 2021 damit zu tun haben. Vor allem in Pflegeheimen. Entspannung erwarte ich erst, wenn es eine Impfung gibt“, sagt Kadereit. Man plane und plane für alle Eventualitäten. Und das seien ja nicht nur die Hygiene- und Isolationsregularien. „Es geht ja auch um die Sozialkontakte der Leute, um das tägliche Leben. Alles ist anders und das bedeutet eine große psychische Belastung für uns alle.“

Doch Frank Kadereit möchte nicht nur auf die Schattenseiten der Lage aufmerksam machen. „Ich möchte hier mal ausdrücklich unsere tollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für ihren Einsatz in dieser Krise loben. Sie fangen alles auf, versuchen ihr Bestes. Wir sind ihnen unglaublich dankbar.“ EVIM hat Geschenkgutscheine verteilt – aus eigenen Mitteln- um Anerkennung zu zeigen. Dass man auf optimale Sicherheit auch für die Beschäftigten achte, sei selbstverständlich, unterstreicht der Geschäftsführer. Es werde versucht, die entfallenden Gruppenangebote und Angehörigenbesuche irgendwie zu ersetzen – „unsere Leute nehmen die Bewohner auch in den Arm. Das brauchen sie jetzt mehr denn je“. Kontakt zu Angehörigen könne per Smartphone oder Tablet geschehen, einige Geräte seien extra angeschafft worden. Und auch von der bundesweiten Spendenaktion der Telekom profitierte EVIM: Die Firma spendete 10000 Smartphones, davon bekamen alle EVIM -Einrichtungen je drei Stück. „Und sehr dankbar sind wir für die Spenden von Nachbarn, Gemeinden, Angehörigen. So viele Geschenke haben wir noch nie erhalten, es standen Kuchen vor der Tür und so weiter. Vielen Dank, das wird sehr geschätzt“; sagt Frank Kadereit. Tolle Angebote seien auch immer wieder „Balkonkonzerte“ gewesen: Mal ein Leierkastenmann, mal Musiker des Hessischen Staatsorchesters „ die haben ja jetzt auch gerade Zwangspause“ – mal Rick Cheyenne am Rheinufer mit Evergreens aus den Sechzigern im Jan-Niemöller-Haus, mal Malte Kühn und Sabine Gramenz mit Gesang und Klavier vor dem Ludwig-Eibach-Haus:   „Das soziale Miteinander ist wunderbar“, sagt Frank Kadereit.

Foto (EVIM): Frank Kadereit und Prokuristin Ilka Müller verteilen die dringend erwartete Schutzkleidung an die Einrichtungen – Face-Shields und Mund-Nase-Schutzmasken.

von Anja Baumgart-Pietsch